Nach Himmelfahrts-Exzessen in SOE: Erneut kommen Angeklagte straffrei davon

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Mehrere Rechtsextreme sind 2020 in Pfaffendorf auf Polizisten losgegangen. Zehn Männer standen dieses Jahr vor Gericht. Verurteilt wurden die wenigsten.

Polizisten nehmen im Mai 2020 in Pfaffendorf einen Mann fest, der an Ausschreitungen beteiligt gewesen sein soll. Zweieinhalb Jahre nach dem Vorfall ging die letzte Verhandlung nun zu Ende.

Lars U. hat in seinem Haus in Pfaffendorf in der Sächsischen Schweiz einen Raum ganz nach seinem Geschmack eingerichtet – mit Devotionalien aus der Zeit des Nationalsozialismus. Dort trifft er sich mit Freunden, die seinen Geschmack teilen. Nach dem Verbot der Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) im Jahr 2001 wurden Räume wie dieser zu beliebten Treffpunkten von Gleichgesinnten. Hier hörten sie zum Beispiel Musik, die öffentlich nicht abgespielt werden darf.

Auch das Grundstück von Lars U. wurde am Himmelfahrtstag 2020 zu einem Treffpunkt. Er und seine Gäste blieben unter sich. Zumindest so lange, bis sich Anwohner und Touristen bei der Polizei über extrem laute Musik mit rechtsextremen Inhalten beschwerten, die von dem Grundstück aus durch Pfaffendorf drang. Auch „Sieg Heil!“- Rufe seien zu hören gewesen, schilderte ein Anrufer der Polizei.

Polizisten haben Angst um Leib und Leben

Die Einsatzleitung schickte daraufhin vier Bereitschaftspolizisten nach Pfaffendorf, um die Angaben zu überprüfen und die Ruhestörer zu ermahnen. Doch noch bevor die Beamten das Grundstück betreten konnten, wurden sie von mindestens zehn Männern mit Holzlatten und einem Metallrohr massiv bedroht. Ein Beamter wurde mit Bier überschüttet, ein Bierkrug nach einem anderen Polizisten geworfen. So berichteten es die vier Bereitschaftspolizisten. Sie habe Todesangst gehabt, sagte eine junge Polizistin vor Gericht. Sie hatte damals erst kurz zuvor ihre Ausbildung beendet. Zusammen mit ihrem erfahrenen Gruppenführer und den beiden anderen Kollegen ergriff sie die Flucht. Die Polizisten hatten Angst um Leib und Leben.

Der Dienstwagen der Beamten wurde anschließend beschädigt. Der Vorfall führte zu einem Großeinsatz der Polizei, der bis in die Morgenstunden dauerte. Etwa 120 Beamte waren daran beteiligt. Ein Polizeihubschrauber kreiste über Pfaffendorf, Hundeführer waren im Einsatz. Insgesamt 30 Personen wurden am Himmelfahrtsabend vorläufig festgenommen und noch in der Nacht als Beschuldigte vernommen. In einem der Gebäude von Lars U. fanden die Beamten Waffen, Betäubungsmittel und diverses Propagandamaterial, das auf eine rechtsextreme Gesinnung schließen lässt.

Wurde der Prozess von den Verteidigern verschleppt?

Ein Jahr verging. Erst im Mai 2021 erhob die Staatsanwaltschaft am Schöffengericht in Pirna Anklage gegen zehn Männer im Alter zwischen 37 und 48. Ihnen wurde unter anderem Landfriedensbruch, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und versuchte gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Es verging fast ein zweites Jahr, bis im März 2022 die ersten drei Beschuldigten vor Gericht standen. Die letzten vier Angeklagten mussten sich sogar er jetzt – zweieinhalb Jahre nach den Krawallen – vor Gericht verantworten.

Die Verteidiger hatten offensichtlich kein Interesse daran, zügig zu verhandeln. Der Pirnaer Richter Andreas Beeskow erinnert sich jedenfalls nicht daran, jemals solche Schwierigkeiten bei der Suche nach gemeinsamen Terminen mit Verteidigern gehabt zu haben. Wenn Kalkül dahinter steckte, ging das zumindest aus Sicht fast aller Angeklagten auf. Vier von ihnen wurden freigesprochen, vier weitere Verfahren wurden gegen Geldauflagen eingestellt.

„Ich kann mich nicht erinnern, es ist zu lange her“: Dieser Satz spielt eine zentrale Rolle in dem Prozess. Er war schon beim ersten Verfahren im März dieses Jahres immer wieder von Zeugen zu hören. Für die vier Polizisten, die von der Horde angegriffen wurden, war es schwierig, das damals Erlebte in ihrer Erinnerung einzuordnen. Ein Grund: Die Beamten waren auch nach dem Angriff zum Teil noch selbst stundenlang im Einsatz in Pfaffendorf.

Lichtbildvorlagen vor Gericht nicht verwertbar

So erkannten die Polizisten zwar in der Lichtbildmappe, die ihnen bei den polizeilichen Vernehmungen etwa zwei Monate nach dem Vorfall vorgelegt wurde, einige Männer wieder. Sie konnten sie aber nicht zweifelsfrei der Gruppe der Angreifer zuordnen. Die besagte Mappe enthielt zudem nur Fotos der insgesamt 30 Beschuldigten. Normalerweise müssen Zeugen zusätzlich auch Fotos von Unbeteiligten zur Auswahl vorgelegt werden. Die Staatsanwaltschaft hatte wegen des großen Aufwandes darauf aber verzichtet. Ein Fehler, wie sich herausstellte. Denn allein mit den Fotos der Beschuldigten erfüllt die Mappe nicht die Anforderungen einer sogenannten Wahllichtbildvorlage.

In den ersten drei Verfahren sorgte die Verwendung der Mappe mit den Fotos der Beschuldigten bereits für Schwierigkeiten. Im vierten und letzten Verfahren wurde der Verwertung der Aussagen, die auf der Vorlage der Mappe beruhten, nun ganz widersprochen. Denn die Zeugen hatten damit keine echte Auswahlmöglichkeit. Das Gericht musste deshalb den Anträgen der Verteidiger zustimmen. Den Zeugen wurde die Fotomappe nicht wieder vorgelegt.

Neben Fotos gab es auch Videos mit einer Gesamtlaufzeit von mehr als zehn Stunden. Diese nahmen Beamte an dem Himmelfahrtsabend und in der Nacht auf. Auf einer Sequenz ist der Angeklagte Silvio F. mit einer Zaunlatte deutlich zu erkennen, in der mindestens ein Nagel steckte. Einer der Polizisten erkannte F. im Prozess als Angreifer wieder. Das Schöffengericht verurteilte ihn deshalb Ende März zu einer achtmonatigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von 1.200 Euro.

Auch Rüdiger E. war auf den Videos gut zu erkennen – besonders wegen seiner kräftigen Statur und seines Auftretens. Nachdem auch die Zeugen ihn vor Gericht als Angreifer identifiziert hatten, räumte er im dritten Verfahren ein, zu dem Angreifer-Pulk gehört zu haben, allerdings unbewaffnet. Rüdiger F. wurde daraufhin im Mai zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und einer Geldstrafe von 800 Euro verurteilt.

Kein Videomaterial von den Angriffen

Bei den Angriffen waren die vier Polizisten allein. Es gibt davon keine Videoaufnahmen, auf die sich das Gericht hätte stützen können. So war es allein auf die Aussagen der angegriffenen Polizisten angewiesen, die zwar in etlichen Punkten übereinstimmten. Doch es gab nach der langen Zeit auch einige Widersprüche. Das kam besonders den Angeklagten im vierten und letzten Verfahren zugute. Zumal auch hier keine Lichtbildmappen verwendet werden durften.

Beim letzten Verfahren war Jens G. einer der Angeklagten. Auch wenn er vor Gericht nicht sein T-Shirt mit der Aufschrift „Bierkönig“ trug, das er 2020 in Pfaffendorf an hatte – die Zeugen zeigten sofort auf ihn und erinnerten sich deutlich an sein Gesicht. G. wurde dadurch als Angreifer wiedererkannt. Dass er aber ein Bierglas in Richtung der Polizisten warf, wie ihm zunächst vorgeworfen wurde, konnte nicht nachgewiesen werden. Die Situation sei hochstressig gewesen, sagte einer der Beamten. An seine eigene Zeugenvernehmung konnte er sich nach der langen Zeit nicht mehr erinnern. Das Verfahren gegen Jens G. wurde am Ende gegen eine Geldauflage von 4.000 Euro eingestellt.

Auch Lars U., den Gastgeber der „Party“, erkannten die Zeugen im Gerichtssaal in Pirna wieder – obwohl er seine auffälligen Tattoos mit langer Kleidung zu verdecken suchte. Die Tattoos am Hals waren doch sichtbar, das markante Gesicht auch ohne Bart auffällig. In den widersprüchlichen Aussagen zur Kleidung und zum Verhalten von Lars U. sah das Gericht aber eine zu große Hürde für eine Verurteilung und sprach ihn deshalb frei.

Entschädigung für drei Freigesprochene

Auch Falk G. und Dirk S. wurden freigesprochen. In der Verhandlung hatte keiner der Zeugen sie wiedererkannt. Falk G. wäre zu Besuch bei einem Nachbarn von Lars U. gewesen, trug sein Verteidiger vor. Sein Mandant sei von der Polizei am Gehen gehindert worden, als er gerade aufbrechen wollte, er hätte mit den Vorfällen nichts zu tun gehabt. Lars U., Falk G. und auch Dirk S. sprach das Gericht eine Entschädigung für die vorläufige Festnahme zu.

Das Verfahren hätte an einer äußerst misslichen Ausgangssituation gekrankt, die unzulässige Wahlbildvorlage zu großen Schwierigkeiten geführt, sagte Richter Andreas Beeskow in der Urteilsbegründung. Die Verfahrenskosten für alle in den Verfahren Freigesprochenen trägt die Staatskasse.